Dürfen Arbeitnehmer gegenüber Ihren Chefs frech werden?

Die Frage lässt sich nicht mit einem klar ja oder nein beantworten.

Grobe Beleidigungen gegenüber Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber

Grobe Beleidigungen gegenüber Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Kundinnen und Kunden oder Kolleginnen und Kollegen stellen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einen erheblichen Verstoß gegen die vertragliche Pflicht des Beschäftigten zur Rücksichtnahme im Arbeitsverhältnis gem. § 241 Abs. 2 BGB dar.[1] Eine verhaltensbedingte Kündigung kann deshalb grundsätzlich auf ein solches Verhalten gestützt werden. Allerdings stellt nicht jede grobe Äußerung gleich eine Beleidigung dar. Eine Beleidigung ist juristisch gesehen eine ehrenverletzte und diffamierte Äußerung, die vor allem die Herabsetzung des Anderen zum Inhalt hat. Bezieht sich eine Aussage aber auf ein politisches Thema oder wird lediglich der Unmut über eine gewisse Situation ausgedrückt, so steht regelmäßig der Inhalt und nicht die Herabsetzung des Gegenübers im Vordergrund.

Abwägung

Um festzustellen, ob eine Beleidigung vorliegt, muss zunächst abgewogen werden. Weil in Deutschland die Meinungsfreiheit grundrechtlich verankert ist, kommt es entscheidend darauf an, die Grenze zwischen Kritik bzw. unglücklich formulierten Äußerungen zur Beleidigung zu ziehen. Wichtig ist hierfür, in welcher Umgebung die Beleidigung gefallen ist. Je nach Branche und Arbeitsplatz gibt es unterschiedliche Konventionen im Miteinander. Auf der Baustelle gilt beispielsweise ein anderer Umgangston als in einer Bankfiliale. Herrscht also insgesamt eher ein härterer und rauerer Umgangston, sind die Hürden für eine Beleidigung höher. Zudem kommt es auch auf die weiteren Umstände an, in denen die Beleidigung geäußert wurde. Je mehr sich in aufgebrachten Streitsituationen die andere Seite ebenfalls im Ton vergreift, desto mehr verliert die Beleidigung an Bedeutung. Zu beachten ist auch, ob gegebenenfalls eine Provokation des Arbeitgebers stattgefunden hat. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, ob es zu einer ernst gemeinten Entschuldigung gekommen ist.

Droht der Arbeitnehmer seinem Vorgesetzten sogar, ist zu klären, ob es sich um eine ernsthafte oder bloß eine “hole“ Drohung handelt.[2]

Außerordentliche Kündigung wegen grober Beleidigung

Als Konsequenz der groben Beleidigungen gegenüber dem Arbeitgeber käme die außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB in Betracht. Die außerordentliche Kündigung soll aber das letzte Mittel (ultima ratio) darstellen. Diese ist nur möglich, wenn dem Arbeitgeber ein Abwarten der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar ist. Zudem darf ein milderes Mittel keinen Erfolg mehr versprechen. Zu den milderen Mitteln gehört neben der Abmahnung die Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz und die ordentliche Kündigung. Dies kann vorkommen, wenn eine Änderung des Verhaltens nicht zu erwarten ist oder bei einer besonders schweren Beleidigung (z.B. öffentlichen Beleidigung). Durch die nachhaltige Schädigung des Arbeitsklimas ist eine Abmahnung dann nicht mehr ausreichend. Ein störungsfreier Arbeitsablauf kann nur noch durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erreicht werden.[3]

Hilfsweise ordentliche Kündigung

Soweit die Anforderungen an eine außerordentliche Kündigung nicht erfüllt sein könnten, ist es für Arbeitgeber sinnvoll, vorsorglich zugleich auch eine ordentliche Kündigung auszusprechen.

Die Kündigung soll dabei aber keine Strafe für vergangenes Verhalten darstellen. Daher kommt es nicht darauf an, ob sie als Sanktion angemessen ist, sondern ob in Zukunft weitere Vertragspflichtverletzungen zu erwarten sind. In der Regel kann diese Zukunftsprognose aber erst nach einer Abmahnung getroffen werden.[4] Fehlt die Abmahnung, so ist die Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen häufig unwirksam.[5] Durch eine Abmahnung wird der Arbeitnehmer auf sein Fehlverhalten hingewiesen. Üblicherweise wird dabei für zukünftige, gleichartige Verstöße eine Kündigung angedroht. Die Abmahnung hat eine Rüge-, Hinweis- und Warnfunktion. Kommt es danach zu weiteren gleichartigen Pflichtverletzungen, wird eine Kündigung erteilt.[6]

[1] BAG Urt. v. 18.12.2014 – Az.: 2 AZR 265/14 Rn. 15 ff

[2] LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 23.03.2010 – 5 Sa 254/09

[3] LAG Köln, Urteil vom 6.6.2019 – 4 Sa 18/19

[4] LAG Köln, Urteil v. 7. Mai 2014, 11 Sa 905/13

[5] LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 18.06.2021, 1 Sa 75/21

[6] LAG Köln, Urteil v. 06.06.2019, 4 Sa 18/19

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Lara Beckers

stud.jur. Uni Köln