Auflösungsantrag im Prozess – Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindung
Der sog. Auflösungsantrag stellt für beide Seiten eines Arbeitsrechtsstreits eine Möglichkeit dar, ein Arbeitsverhältnis vor dem Arbeitsgericht zu beenden, gegen Zahlung einer Abfindung, auch wenn Kündigungsgründe nicht bestanden haben.
1. Voraussetzungen des Auflösungsantrags
Führt die Beweisaufnahme in einem Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht zu dem Ergebnis, dass eine arbeitgeberseitige Kündigung sozial nicht gerechtfertigt ist, lässt sich über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien eine gütliche Einigung (Prozessvergleich) jedoch nicht erzielen, bleibt die Möglichkeit eines Auflösungsantrages (§ 9 KSchG). Dieser setzt besondere Auflösungsgründe voraus (§ 9 Abs. 1 KSchG), da das Kündigungsschutzgesetz auf den Erhalt des Arbeitsplatzes und nicht auf Zahlung einer Abfindung ausgelegt ist:
- für den Arbeitnehmer: Auflösungsantrag begründet, wenn ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist
- für den Arbeitgeber: Auflösungsantrag begründet, wenn eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht zu erwarten ist
Würden Arbeitsgerichte Auflösungsanträgen nämlich leichtfertig stattgeben, ginge dies zu Lasten der dann eintrittspflichtigen Arbeitslosenversicherung.
2. Bis wann kann der Auflösungsantrag gestellt werden?
Gemäß § 9 Abs. 1 S. 3 KSchG kann der Antrag bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz vor dem Landesarbeitsgericht noch gestellt werden.
3. Worauf kommt es für die gerichtliche Betrachtung an?
Während es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Kündigung als solcher auf den Kündigungszeitpunkt (in der Vergangenheit) ankommt, stellt das Gericht beim Auflösungsantrag eine Vorausschau (in die Zukunft) an und fragt: Hat das Arbeitsverhältnis noch Sinn? Ist eine gedeihliche Zusammenarbeit in der Zukunft noch zu erwarten – was nach einem längeren Rechtsstreit meist zu verneinen ist.
4. Was ist bei einer Änderungskündigung zu beachten?
Nach einer Änderungskündigung durch den Arbeitgeber kann der Auflösungsantrag nur gestellt werden, wenn der Arbeitnehmer das Änderungsangebot ablehnt.
5. Was entscheidet das Arbeitsgericht bei einem Auflösungsantrag?
Gibt das Gericht dem Antrag statt, löst es das Arbeitsverhältnis zu dem Zeitpunkt auf, zu dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geändert hätte. Der Arbeitgeber wird zum Ausgleich zur Zahlung einer Abfindung verurteilt (§ 10 KSchG).
6. Wie hoch ist die Abfindung gem. § 10 KSchG?
Das Gericht setzt einen individuellen Betrag im Einzelfall fest. Das Gesetz schreibt lediglich Höchstbeträge vor:
- grundsätzlich: bis zu 12 Monatsverdiensten (§ 10 Abs. 1 KSchG)
- bis zu 15 Monatsverdiensten: wenn der Arbeitnehmer das 50. Lebensjahr bereits vollendet und das Arbeitsverhältnis mindestens 15 Jahre bestanden hat
- bis zu 18 Monatsverdiensten: wenn der Arbeitnehmer das 55. Lebensjahr bereits vollendet und das Arbeitsverhältnis mindestens 20 Jahre bestanden hat
- es sei denn, der Arbeitnehmer hat die Regelaltersgrenze für das Renteneintrittsalter bereits erreicht.
7. Prozessuale Natur des Auflösungsantrages
Der Auflösungsantrag ist ein Hilfsantrag. Er kommt nur zum Tragen, wenn das Gericht die soziale Rechtfertigung der Kündigung verneint, d. h. keine personenbedingten, verhaltensbedingten oder betriebsbedingten Gründe für die Kündigung vorliegen.
8. Auflösungsantrag bei fehlerhafter Betriebsratsanhörung
Dem Auflösungsantrag kann nicht entsprochen werden, wenn zur Sozialwidrigkeit der Kündigung noch weitere Kündigungsmängel hinzukommen, weil gegen Verfahrensvorschriften verstoßen wurde, die dem Schutz des Arbeitnehmers dienen. Z. B.
- fehlerhafte Betriebsratsanhörung (§ 102 BetrVG)
- Verstoß gegen Mutterschutz (§ 9 MuSchG)
- Zustimmung des Integrationsamtes bei Schwerbehinderten (§ 85 SGB IX)
9. Kann der Arbeitgeber den Auflösungsantrag auch bei unwirksamer außerordentlicher Kündigung stellen?
Nein. Dieses Recht, bei außerordentlicher Kündigung, die nicht gerechtfertigt war, steht nur dem Arbeitnehmer zu (§ 13 Abs. 1 KSchG). Dieses Recht des Arbeitgebers bleibt jedoch bestehen, wenn er hilfsweise auch ordentlich gekündigt hat oder eine Umdeutung der außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung in Betracht kommt.
10. Was muss der Arbeitgeber zur Begründung des Auflösungsantrages vortragen?
Er muss, abgestellt auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, Tatsachen vortragen, aus denen das Gericht ersehen kann, dass und warum in Zukunft eine weitere den Betriebszwecken dienende Zusammenarbeit nicht zu erwarten ist. Die Auflösungsgründe können sich sowohl aus dem Kündigungssachverhalt oder dem Prozessverlauf ergeben – oder aus beidem.
Das Arbeitsgericht berücksichtigt nur solchen Tatsachen bei seiner Entscheidung, die der Arbeitgeber vorträgt und worauf er sich stützt.
Weiteres zum Arbeitsrecht finden Sie auf meiner Kanzleiwebsite.
Erstellt am 08.10.2019
So erreichen Sie meine Kanzlei in Brühl:
Rechtsanwalt Dr. Martin Riemer
Fachanwalt für Medizinrecht und Versicherungsrecht