Sonderkündigungsschutz und Kündigung bei Betriebsübergang
Wenn es um den Betriebsübergang geht, ist § 613a BGB die wohl wichtigste Vorschrift, die es zu beachten gilt. Geregelt werden dort Rechte und Pflichten bei einem Betriebsübergang. § 613a BGB ist als Schutzvorschrift zu Gunsten der Arbeitnehmer zu verstehen. Sie greift in den Fällen ein, in denen es durch ein Rechtsgeschäft (in den meisten Fällen durch Verkauf) zu einem Inhaberwechsel am ganzen Betrieb oder bloß an einem Betriebsteil kommt.
Unantastbarer Arbeitnehmer?
Bei bloß flüchtiger Lektüre des entsprechenden Normtextes kann es in der Hinsicht, welche Möglichkeiten der Arbeitgeber hat, wenn er bei einem Betriebsübergang einem Arbeitnehmer kündigen möchte, jedoch zu folgenreichen Missverständnissen kommen.
§ 613a Abs. 1 S. 1 BGB besagt, dass im Falle eines Betriebsübergangs das Arbeitsverhältnis, das zwischen dem Betriebsveräußerer und seinem Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestanden hat, auf den Betriebserwerber übergeht. Das bedeutet: Nur, weil Ihr Chef sich entschieden hat, die Firma zu verkaufen, stehen Sie nicht automatisch am nächsten Tag ohne Job da. Bekräftigt wird dies ebenfalls durch § 613a Abs. 4 S. 1 BGB. Demnach ist eine Kündigung, die wegen des Betriebsübergangs oder des Überganges eines Betriebsteils vom bisherigen Arbeitgeber (dem Betriebsveräußerer) oder dem neuen Arbeitgeber (dem Betriebserwerber) ausgesprochen wird, unwirksam ist. Maßgeblich für die Beantwortung der Frage, wann eine Kündigung wegen eines Betriebsübergangs ausgesprochen wurde, ist nicht etwa der vom Arbeitgeber genannte Kündigungsgrund, sondern ob der Betriebsübergang tatsächlich der tragende Grund für die Kündigung gewesen ist (BAG-Urteil vom 28.04.1988 – 2 AZR 623/87). Das Kündigungsverbot wegen eines Betriebsübergangs erstreckt sich ebenfalls auf Auszubildende und auf Verträge, die zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs ruhen, etwa weil der Arbeitnehmer Elternzeit genommen hat.
Dieser Schutz des Arbeitnehmers ist dabei jedoch keinesfalls mit einer Einbuße an Autonomie verbunden: Der Arbeitnehmer hat, wie § 613a Abs. 6 S. 1 BGB statuiert, das Recht, dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses zu widersprechen.
Betrachtet man jedoch § 613a Abs. 4 BGB sorgfältig, wird man feststellen, dass dieser zwei Sätze umfasst. Und jener zweite Satz wird oftmals übersehen, was für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen folgenschwer sein kann. So besagt er, dass das Arbeitsverhältnis aus anderen Gründen sehr wohl gekündigt werden kann.
Die Anforderungen, die an eine solche Kündigung „aus anderen Gründen“ gestellt werden müssen, beurteilen sich danach, ob der zu kündigende Arbeitnehmer allgemeinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) genießt. Wann das der Fall ist und wie genau der Kündigungsschutz in solchen Fällen aussieht, erfahren Sie in demBeitrag „Ihnen wurde gekündigt? Was es nun zu beachten gilt“. Unterfällt der Arbeitnehmer hingegen nicht dem allgemeinen Kündigungsschutz nach dem KSchG, so genügt für eine Kündigung jeder nachvollziehbare, nicht willkürlich erscheinende, sachliche Grund, der den Verdacht einer bloßen Umgehung von § 613a Abs. 4 S. 1 BGB auszuschließen vermag (Ascheid/Preis/Schmidt/Steffan, 5. Aufl. 2017, BGB § 613a Rn.176).
Der Arbeitnehmer ist also im Falle eines Betriebsübergangs gut abgesichert; gekündigt werden kann er aus diesem Grund nicht. Er kann auch selbst entscheiden, ob er möchte, dass sein Arbeitsverhältnis im Falle eines Betriebsübergangs fortbesteht. Das macht ihn allerdings nicht unantastbar, eine Kündigung aus anderen Gründen als des Betriebsübergangs bleibt also weiterhin möglich.
Sonderkündigungsschutz beim Betriebsübergang
Die obigen Ausführungen beziehen sich auf „normale“ Arbeitnehmer, die – falls überhaupt- allgemeinen Kündigungsschutz genießen. Daneben gibt es jedoch verschiedene Personengruppen, die einem besonderen gesetzlichen Kündigungsschutz unterliegen. Dazu zählen etwa Schwangere, Mitglieder des Betriebsrats, schwerbehinderte Menschen oder Datenschutzbeauftragte.
Auch für diese Personen gilt natürlich, dass eine Kündigung wegen eines Betriebsübergangs unwirksam ist (§ 613a Abs. 4 S. 1 BGB). Gleichzeitig ist aber auch hier eine Kündigung aus einem anderen Grund als dem Betriebsübergang möglich (§ 613a Abs. 4 S. 2 BGB). Der Gesetzgeber stellt an eine Kündigung, die gegen einen Angehörigen dieses Personenkreises ergeht, jedoch besonders hohe Anforderungen, die insbesondere im Rahmen eines Betriebsübergangs zu Verwirrung führen und zum Stolperstein werden können.
Schwerbehinderte Arbeitnehmer
Ein möglicher Stolperstein kann einem etwa beispielsweise dann begegnen, wenn man einen schwerbehinderten Arbeitnehmer kündigen möchte, wozu nach § 168 SGB IX vor Ausspruch der Kündigung die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen ist.
Dabei kann es vorkommen, dass der Betriebsveräußerer die Zustimmung beantragt und auch erhält; den Zustimmungsbescheid bekommt er aber erst nach Betriebsübergang zugestellt. Das Problem liegt dann darin, dass der Betriebsveräußerer nun nicht mehr zum Ausspruch der Kündigung berechtigt ist, da der Betriebserwerber in das Schuldverhältnis (den Arbeitsvertrag) eingetreten ist (vgl. § 613a Abs. 1 S. 1 BGB). Möchte der Betriebserwerber nun eine wirksame Kündigung aussprechen, ist er dazu nicht in der Lage; ihm fehlt die nach § 168 SGB IX nötige Zustimmung des Integrationsamtes (so auch BAG-Urteil vom 15.11.2012 – 8 AZR 827/11). Lösen lässt sich dieses Problem, indem der neue Arbeitgeber nun die Zustimmung zur Kündigung gem. § 168 SGX IX beim zuständigen Integrationsamt beantragt. Man vermeidet dieses Problem jedoch, wenn man direkt bei Beantragung der Zustimmung gemäß § 168 SGB IX auf den baldigen Betriebsübergang ausdrücklich hinweist. Der Erwerber kann dann gemäß §§ 1, 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB X durch das Integrationsamt am Zustimmungsverfahren beteiligt werden. Wird eine Entscheidung durch das Integrationsamt nun erst nach erfolgtem Betriebsübergang getroffen, kann dem Erwerber, der jetzt zur Kündigung berechtigt ist, die Zustimmung erteilt werden.
Kündigung von Datenschutzbeauftragten
Auch Datenschutzbeauftragte genießen einen besonderen Kündigungsschutz. Sind sie bei einer öffentlichen Stelle beschäftigt, folgt dieser aus § 6 Abs.4 BDSG. Handelt es sich beim Arbeitgeber hingegen um eine nicht-öffentliche Stelle, leitet man den besonderen Kündigungsschutz des Datenschutzbeauftragten aus § 38 Abs. 2 BDSG i.V.m. § 6 Abs. 4 BDSG her. Den besonderen Kündigungsschutz genießen Datenschutzbeauftragte allerdings nur, wenn der Arbeitgeber verpflichtet ist, einen Datenschutzbeauftragen zu beschäftigen. Freiwillig vom Arbeitgeber berufene Datenschutzbeauftragte sind hingegen wie „normale“ Arbeitnehmer kündbar.
Doch was passiert mit einem Datenschutzbeauftragten im Falle eines Betriebsübergangs? Dazu ist zu sagen, dass die Bestellung als Datenschutzbeauftragter an das bestellende Unternehmen anknüpft und nicht an das jeweilige Arbeitsverhältnis. Bei einem Betriebsübergang geht jedoch lediglich das Arbeitsverhältnis über. Das nicht an das Arbeitsverhältnis anknüpfende Amt des Datenschutzbeauftragten geht daher bei einem Betriebsübergang nicht mit über; es geht sogar unter, da das Amt des Datenschutzbeauftragten nur unmittelbar beim jeweiligen Rechtsträger besteht.
Freilich kann der neue Arbeitgeber ebenfalls verpflichtet sein, einen Datenschutzbeauftragten zu beschäftigen. Daraus leitet sich jedoch für denjenigen, der beim alten Arbeitgeber als Datenschutzbeauftragter beschäftigt war, kein Anspruch ab, dort ebenfalls wieder in dieser Funktion eingesetzt zu werden; das Amt des Datenschutzbeauftragten geht nicht auf den Erwerber über (Arbeitsgericht Cottbus, Urteil v. 14.02.2013 – 3 Ca 1043/12).
Daraus folgt, dass, sofern der Erwerber nicht verpflichtet ist, einen Datenschutzbeauftragten zu beschäftigen, und, wenn der ursprüngliche Datenschutzbeauftragte von diesem wieder in jener Funktion eingesetzt wird, der jeweilige Arbeitnehmer n a c h erfolgtem Betriebsübergang ganz normal gekündigt werden kann.
Zu beachten ist jedoch, dass ehemalige Datenschutzbeauftragte binnen eines Jahres nach Ende der Tätigkeit als Datenschutzbeauftragter nur aus wichtigem Grund gekündigt werden dürfen.
Kündigung von Schwangeren, Frauen die kürzlich entbunden oder eine Fehlgeburt erlitten haben
Auch Schwangere, Mütter innerhalb von vier Monaten nach der Entbindung und Frauen, die in den zurückliegenden vier Monaten eine Fehlgeburt erlitten haben, stehen unter besonderem Schutz vor einer Kündigung (§ 17 Abs. 1 S. 1 MuSchG). Der Schutz besteht selbstverständlich auch im Falle eines Betriebsübergangs fort. Zu beachten ist, dass § 17 Abs. 2 MuSchG, vorausgesetzt, die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde erklärt dies für zulässig, klarstellt, dass Frauen, die zur genannten Gruppe gehören, ausnahmeweise gekündigt werden können. Dies stellt jedoch die absolute Ausnahme dar und könnte im Rahmen eines Betriebsübergangs etwa dann vorkommen, wenn Sie als Arbeitnehmerin der Übernahme des Arbeitsverhältnisses durch den Betriebserwerber widersprechen und Ihr derzeitiger Arbeitgeber absolut keine Möglichkeit hat, Sie weiterhin zu beschäftigen.
Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats
Einen Angehörigen des Betriebsrats zu kündigen, stellt sich oftmals als schwierig bis unmöglich heraus. Denn Betriebsräte genießen ebenfalls besonderen gesetzlichen Kündigungsschutz. Sie können gemäß § 15 Abs. 1 KSchG nur außerordentlich gekündigt werden. Obendrein ist für die Kündigung eines Mitglieds des Betriebsrats die Zustimmung des Betriebsrats erforderlich. Dass diese verweigert wird, kommt in solchen Fällen durchaus vor. Dann bleibt dem Arbeitgeber nur die Möglichkeit, ein sogenanntes Zustimmungsersetzungsverfahren gemäß § 103 Abs. 2 BetrVG vor dem Arbeitsgericht einzuleiten. Auch nach Ausscheiden aus dem Betriebsrat genießen die ehemaligen Betriebsräte für die Dauer von einem Jahr ab Ausscheiden besonderen Kündigungsschutz. Bei dem nachwirkenden Kündigungsschutz ist zu beachten, dass der Betriebsrat der Kündigung nicht mehr zustimmen muss; er muss durch den Arbeitgeber lediglich gemäß § 102 BetrVG angehört werden.
Dieser umfassende Kündigungsschutz greift grundsätzlich auch im Falle eines Betriebsübergangs.
Bleiben die Betriebsräte im Falle eines vollständigen Betriebsübergangs im Amt, ist auch die Rechtsposition der Betriebsratsmitglieder unverändert. Unbedeutend ist, ob der Betriebsrat dann noch im Amt ist, weil seine Amtszeit noch läuft oder ob es sich um ein Übergangsmandat handelt. Bei einem Teilübergang scheiden die übergehenden Mitglieder aus dem Betriebsrat grundsätzlich aus. Von diesem Grundsatz gibt es jedoch Ausnahmen, von denen folgend drei genannt sein wollen:
Wenn ein in einem übergehenden Betriebsteil beschäftigtes Betriebsratsmitglied dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den neuen Inhaber widerspricht, bleibt es Mitglied im Betriebsrat.
Das Arbeitsverhältnis zwischen dem ursprünglichen Inhaber des Betriebs und dem Betriebsratsmitglied besteht fort und es liegt auch kein anderer Grund für ein Erlöschen der Mitgliedschaft im Betriebsrat nach § 24 BetrVG vor.
Wenn aufgrund des Betriebsteilübergangs die Amtszeit des Betriebsrats des Ursprungsbetriebs endet, der Betriebsrat aber ein Übergangsmandat hat (§ 21a BetrVG), bleibt das von dem Betriebsteilübergang erfasste Betriebsratsmitglied als Mitglied im Betriebsrat. Das liegt daran, dass ein Betriebsrat, der ein Übergangsmandat ausübt, in seiner bisherigen personellen Zusammensetzung bestehen bleibt.
Wenn ein Betriebsteil zwar auf einen neuen Inhaber übertragen wird, der Betriebsteil aber weiter Teil des Ursprungsbetriebs bleibt, der dann gemeinsam von dem ursprünglichen Betriebsinhaber und dem neuen Inhaber des Betriebsteils als Gemeinschaftsbetrieb fortgeführt wird, bleibt das von dem Betriebsteilübergang erfasste Betriebsratsmitglied ebenfalls Mitglied im Betriebsrat. Es liegt dann kein Fall des § 24 Nr. 3 oder Nr. 4 BetrVG vor.
Es gilt das jeweils oben Gesagte: Betriebsratsmitglieder genießen einen enorm umfassenden Kündigungsschutz, insbesondere, da der Betriebsrat ihrer Kündigung selbst zustimmen muss. Ehemalige Mitglieder des Betriebsrats genießen für ein Jahr ab dem Zeitpunkt des Ausscheidens Kündigungsschutz; vor der Kündigung muss der Betriebsrat aber lediglich angehört werden, seine Zustimmung zur Kündigung ist indes nicht mehr erforderlich.
Erstellt am 08.10.2020
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