„Fallstricke“ in sozialgerichtlichen Verfahren

Das sozialgerichtliche Verfahren hat auf den ersten Blick viele Gemeinsamkeiten sowohl mit dem verwaltungsgerichtlichen als auch mit dem finanzgerichtlichen Verfahren. Es bestehen jedoch gewisse „Fallstricken“, die den Beruf des Anwalts maßgeblich beeinflussen.

1. Beweisanträge

Wo im Zivilprozess vom Beibringungsgrundsatz gesprochen wird, gilt im sozialgerichtlichen Verfahren der Beweisantritt im Sinne des §§ 371, 373, 402 f. ZPO i.V.m. § 202 SGG. Dieser hat jedoch nach der Auffassung des BSG auf Grund des Amtsermittlungsprinzips nur eine geringe prozessuale Bedeutung, da er lediglich Hinweise und Anregungen zu Maßnahmen enthält, die von Amtswegen einzuleiten sind. Dies ändert sich dagegen bei einem förmlich ausformulierten Beweisantrag, da sich das Gericht in einem solchen Fall mit dem Beweisantrag ausführlich auseinandersetzen muss. Der Beweisantrag soll hier mehr einer „Warnung“ dienen und dem Gericht verdeutlichen, dass nach Auffassung der antragsstellenden Partei der Sachverhalt noch nicht von Amts wegen allumfassend ermittelt worden ist. Wichtig ist daher der Unterscheid zwischen dem Begriff des Beweisantritts (z.B. Beweis: Sachverständigengutachten), und dem Beweisantrag (z.B. Zum Beweis der Tatsache, dass …, wird beantragt, ein Sachverständigengutachten einzuholen.“). Wenn das Gericht Beweisantritte übergeht, liegt nach der Rechtsprechung kein Verfahrensfehler vor, anders jedoch bei einem förmlichen Beweisantrag. Wird dieser ohne ausreichende Begründung nicht verfolgt, liegt ein Verfahrensfehler vor.

2. Anträge im laufenden Verfahren

Weiterhin zu beachten ist auch der Umgang mit Anträgen im laufenden Verfahren. Hierbei ist es vor allem entscheidend, dass ein schriftlich eingereichter Antrag in der mündlichen Verhandlung noch einmal wiederholt werden muss. Dies dient der Aufrechterhaltung des Antrags und spielt insbesondere bei der beantragten Anhörung von Sachverständigen eine wichtige Rolle. Deren persönliche Anhörung muss in derselben Instanz durchgeführt werden, in der das Gutachten auch erstellt wurde. Eine Befragung des Sachverständigen aus erster Instanz ist nach § 116 Abs. 2 SGG i.V.m. §§ 397, 402, 411 ZPO sowie § 62 SGG nur dann zulässig, wenn der Antrag auf Anhörung des Sachverständigen noch in der letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz gestellt worden ist.

3. Bescheidungsurteil

In manchen Fällen spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltung aus, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts den Anspruch der Klägerin oder des Klägers neu zu bescheiden. Dies kann passieren durch z.B. eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, wenn der Behörde ein Ermessen zukommt oder die Beteiligten über einen unbestimmten Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum streiten. Aus einem solchen Bescheidungsurteil soll dann hervorgehen, welche Gesichtspunkte für die Neubescheidung von Relevanz sind und welche nicht. Aufgrund der Bindungswirkung des Bescheidungsurteils ist es in einem späteren Prozess, nachdem die Verwaltung dieses umgesetzt hat, nicht mehr möglich, Argumente aus dem ersten Verfahren noch einmal geltend zu machen. In der Praxis ist daher anhand der Urteilsgründe stets zu prüfen, ob nicht trotz Obsiegens dennoch Berufung gegen das Bescheidungsurteil einzulegen ist, um eine andere Bescheidung durch das Berufungsgericht zu erhalten.

4. Vertagung beantragen

Wenn in einem Verfahren Umstände zur Sprache kommen, die vorher weder mündlich noch schriftlich angesprochen wurden, kann eine Vertagung beantragt werden. Diese soll die Beteiligten vor Überraschungsurteilen schützen. Es sollte daher zunächst geprüft werden, ob man sich auf die unbekannten und neu zur Sprache gekommenen Gesichtspunkte im Interesse des Mandanten sofort einlassen möchte. Falls nicht, sollte Vertragung beantragt werden, also die Verlegung des Termins zur Wahrung des rechtlichen Gehörs. Ein solcher Antrag muss protokolliert werden. Das Gericht hat gemäß § 112 Abs. 2 S. 2 SGG in allen Instanzen eine Hinweispflicht, die sich auf Tatsachen bezieht, die den Beteiligten bisher unbekannt waren, sowie auf rechtliche Gesichtspunkte, welche bis zu dem Zeitpunkt des Verfahrens noch nicht zu Sprache gekommen sind. Als letzte Möglichkeit gegen eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehörs kann eine Anhörungsrüge gemäß § 178a SGG in Betrachtung kommen, welche jedoch nur zulässig gegen Entscheidungen ist. Wird diese für begründet erachtet, hilft das Gericht ihr ab, indem es das Verfahren fortführt. Voraussetzung ist hierbei jedoch, dass ein Vertagungsantrag überhaupt gestellt worden war.

Erstellt am 08.10.2021

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Sinem Simsek

Sinem Simsek

stud.jur. Uni Köln