Was bedeutet „unverzüglich“ im Sinne der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO)?

Der Gesetzgeber erlegt der Berufsgruppe der Rechtsanwälte in der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) einige Pflichten auf. Unter anderem sind sie gemäß § 44 BRAO gehalten, die Ablehnung eines Mandats unverzüglich zu erklären.
Bei dem Ausdruck „unverzüglich“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der einer näheren Eingrenzung bedarf. Allgemein anerkannt ist, dass die Definition des Gesetzgebers aus § 121 BGB auch außerhalb des BGB Anwendung findet. Danach genügt die Ablehnung eines Mandats dem Unverzüglichkeitserfordernis, wenn sie ohne schuldhaftes Zögern des Rechtsanwalts erfolgt. Damit ist die Problematik jedoch noch nicht gelöst, da auch dieser Ausdruck unbestimmt ist und einer näheren Ausführung bedarf.
Grundsätzlich müssen bei der Bestimmung immer die konkreten Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. So kann es sein, dass „unverzüglich“ im Sinne des § 138 Abs. 2 StGB bedeutet, dass der Anzeigepflichtige die Straftat sofort, d.h. so schnell wie möglich, den Behörden melden muss. [1] Auf der anderen Seite kann „unverzüglich“ im Kontext der Anfechtung eines Arbeitsvertrags (gemäß § 119 BGB) bedeuten, dass auch eine Anfechtung zwei Wochen nach Kenntniserlangung über die die Anfechtung begründenden Umstände noch der Unverzüglichkeit genügt. [2]
Aufgrund dieser weiten Spanne möglicher Interpretationen des schuldhaften Zögerns bleibt zu klären, welcher Maßstab regelmäßig für den Begriff „unverzüglich“ im Sinne der Bundesrechtsanwaltsordnung anzulegen ist.
Als Stütze zur näheren Eingrenzung der Unverzüglichkeit könnte § 53 Abs. 1 Nr. 1 BRAO herangezogen werden. Danach hat ein Rechtsanwalt eine Vertretung zu bestellen, wenn er länger als eine Woche daran gehindert ist, seinen Beruf auszuüben. Daraus könnte man den Umkehrschluss ziehen, dass ein Rechtsanwalt im Rahmen des § 44 BRAO regelmäßig nicht dazu verpflichtet sein kann einem Mandanten innerhalb von einer Woche die Ablehnung mitzuteilen. Übertragen auf das gesamte Tätigkeitsfeld der Rechtsanwälte würde dies dazu führen, dass unter „unverzüglich“ unabhängig von den Umständen des Einzelfalls eine Reaktionsfrist von mindestens acht Tagen zu verstehen ist.
§ 14 Satz 1 BORA verpflichtet die Rechtsanwälte dazu, den Erhalt von Zustellungen der Gerichte, anderer Rechtsanwälte oder Behörden zu bestätigen. Weitergedacht würde § 53 Abs. 1 Nr. 2 BRAO in diesen Fall den Umkehrschluss zulassen, dass die Eingangsbestätigung physischer Post 15 Tage nach der Zustellung noch als „unverzüglich“ zu werten ist, da für den Rechtsanwalt erst ab dem 15. Tag, an dem er sich von der Kanzlei entfernt, eine Vertretungspflicht besteht.
Zu Problemen kann dies jedoch dann führen, wenn ein Rechtsanwalt einen Mandanten in einem Prozess vor dem Amtsgericht oder Arbeitsgericht vertritt, in denen kein Anwaltszwang herrscht. In solchen Prozessen ist es gemäß § 217 ZPO denkbar, dass die Ladungsfrist lediglich drei Tage beträgt. Wäre der Rechtsanwalt in diesem Fall für sieben Tage an der Ausübung seines Berufs gehindert und hätte aufgrund der fehlenden gesetzlichen Verpflichtung keinen Vertreter bestellt, würde die Frist verstreichen, ohne dass der Rechtsanwalt Kenntnis von der Ladung erlangt.
Zudem wäre ein Szenario denkbar, in dem ein potenzieller Mandant einem Rechtsanwalt einen Auftrag in den Briefkasten wirft, der einen Anspruch betrifft, der innerhalb der nächsten drei Tage verjährt. In diesem Szenario wäre es denkbar, dass der Rechtsanwalt keinen Vertreter bestellt hat, da er lediglich sechs Tage daran gehindert war, seinen Beruf auszuüben (§ 53 Abs. 1 Nr. 1 BRAO), und deshalb nicht vor Ablauf der Verjährungsfrist Kenntnis von dem Auftrag erlangt hat. Dementsprechend verjährt der Anspruch, ohne dass der Rechtsanwalt die Möglichkeit hatte, auf den Auftrag zu reagieren.
Ungerechtfertigt erscheint darüber hinaus die Bevorzugung von Versicherungen gegenüber Rechtsanwälten. In § 17 Abs. 1 Satz 1 ARB 75 ist geregelt, dass eine Rechtsschutzversicherung die Leistungspflicht unverzüglich verweigern kann und muss, wenn die rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint. Das Landgericht Stuttgart hat 2010 geurteilt, dass die Entscheidung einer Versicherung dem Unverzüglichkeitserfordernis genügt, wenn die Entscheidung innerhalb einer drei-Wochen-Frist erfolgt. [3]

[1] Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch/Hohmann, § 138, Rn. 18.

[2] BAG NJW 1991, S. 2723, S. 2725.

[3] LG Stuttgart, Urteil vom 22.04.2010 – 16 O 45/10 – Rn. 26.

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Felix Gehlen

Studentischer Mitarbeiter