Vergleichbarkeit der Lebensstellung für Ansprüche aus Berufsunfähigkeitsversicherung entscheidend
Der Bundesgerichtshof (Urteil IV ZR 11/16 vom 20.12.2017) hat sich mit der Frage beschäftigt, welcher Beruf des Klägers für die Beurteilung seiner Berufsunfähigkeit heranzuziehen ist und inwiefern dabei die Gründe für einen Berufswechsel zu berücksichtigen sind.
Sachverhalt
Von 1987 bis 1991 wurde der Kläger zum Landmaschinenmechaniker ausgebildet und arbeitete von 1994 bis 2000 im Bereich Metallbau mit dem Schwerpunkt Hufbeschlag, woraufhin er einen viereinhalb Monate dauernden, ganztägigen Lehrgang zum Hufbeschlagschmied absolvierte und in diesem Beruf von 2003 bis 2009 selbstständig tätig war. Daraufhin arbeitete er bis 2015 in einer Biogasanlage zunächst als Anlagenwart, später als Maschinenführer und seit 2015 in einem anderen Unternehmen als Lagerist. Der Kläger leidet seit 2004 unter anderem an chronischen Lendenwirbel- und Schultergelenksbeschwerden, weshalb er zur Tätigkeit in der Biosgasanlage habe wechseln müssen, da die Tätigkeit als Hufbeschlagschmied zunächst noch nebenberuflich möglich gewesen, er aber seit Juli 2012 zu mindestens 50 % berufsunfähig und deshalb nicht mehr im Stande sei, diese Tätigkeit auszuüben.
Seit 1993 unterhielt der Kläger bei der Beklagten eine Kapitallebensversicherung mit dem Zusatz einer Berufsunfähigkeitsversicherung, aus der er Leistungen verlangt, die ihm die Beklagte aber verweigert, da er auf seine Tätigkeit als Maschinenführer verwiesen werden könne. Die Versicherungsbedingungen, die seinem Leistungsbegehren zugrunde liegen, lauten wie folgt: „1. Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich dauernd außerstande ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht.“
Entscheidung
Der BGH hat das Berufungsurteil (OLG Schleswig, 17.12.2015 – 16 U 50/15) auf die Revision des Klägers aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, da dieses die Klage mit der gegebenen Begründung nicht hätte abweisen dürfen. Das OLG Schleswig habe es unterlassen, die Qualifikation des Klägers, die er für seine zuletzt in gesundem Zustand ausgeübte Tätigkeit als Hufschmied erworben hatte, mit der für den Beruf des Maschinenführers erforderlichen zu vergleichen. Das LG Flensburg (LG Flensburg, 23.03.2015 – 4 O 303/14) hatte die Klage am 23.03.2015 abgewiesen, da sich der Kläger jedenfalls auf den jetzt ausgeübten Beruf verweisen lassen müsste, selbst wenn man für die Frage einer Berufsunfähigkeit auf den Beruf des Hufschlagschmieds abstellen würde und davon ausginge, der Kläger sei auf Dauer zu mindestens 50 % hinsichtlich dieser Tätigkeit berufsunfähig. Das OLG Schleswig wies die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zurück, da es weder auf einem Rechtsfehler gemäß § 546 ZPO beruhe, noch die einer Entscheidung gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung nach § 513 Abs. 1 ZPO rechtfertigen.
I. Voraussetzungen einer zulässigen Vergleichstätigkeit
Entgegen dem OLG Schleswig, das die Verweisung auf die Tätigkeit als angestellter Maschinenführer für zulässig hielt und dem Kläger deshalb keine Ansprüche aus der Zusatzversicherung zugestand, und zwar unabhängig davon, welcher Beruf für die Frage der Berufsunfähigkeit heranzuziehen sei und ob der Wechsel zur nebenberuflichen Tätigkeit als Hufschmied im Jahre 2009 aus gesundheitlichen Gründen erfolgte, dürfe dies laut dem BGH gerade nicht offengelassen werden.
1. Nach Ausbildung und Berufserfahrung möglich
Der Kläger wurde als Landmaschinenmechaniker ausgebildet und war bereits als Maschinenführer im Garten- und Landschaftsbau tätig, weshalb das LG Flensburg richtigerweise davon ausging, der Kläger sei grundsätzlich in der Lage, als Maschinenführer in der Biogasanlage zu arbeiten.
2. Bisherige Lebensstellung
Zudem käme eine Verweisung des Versicherten auf eine andere Tätigkeit nach § 2 Abs. 1 der Bedingungen der Versicherung nur in Betracht, wenn die andere Tätigkeit seiner bisherigen Lebensstellung entspreche, welche vor allen Dingen durch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit geprägt werde. Danach dürfe die neue Tätigkeit nicht deutlich geringere Fähigkeit und Erfahrung erfordern als der bisherige Beruf. Ausschlaggebend für die Lebensstellung sei demnach die Qualifikation der Erwerbstätigkeit, die von den für die ordnungsgemäße und sachgerechte Ausübung erforderlichen und vorausgesetzten Kenntnissen und Erfahrungen bestimmt werde. Eine zulässige Vergleichstätigkeit dürfe also weder deutlich geringere Kenntnisse und Fähigkeiten erfordern noch in ihrer Vergütung und ihrer sozialen Wertschätzung merklich unter dem Niveau des bisherigen Berufs liegen.
3. Ansehen des Berufs in der Öffentlichkeit
Der Kläger habe als selbstständiger Hufbeschlagschmied im ländlichen Bereich gegebenenfalls ein höheres Sozialprestige genossen als ein angestellter Maschinenführer, was nach dem OLG Schleswig aber durch das höhere und einigermaßen auskömmliche Einkommen des Klägers als Maschinenführer jedenfalls ausgeglichen werde. Auch das LG Flensburg hatte festgestellt, dass eine wirtschaftlich erfolglose Berufstätigkeit im allgemeinen sozialen Ansehen als gering bewertet würde.
4. Verdienstmöglichkeiten
Nachdem das Einkommen des Klägers als Hufschmied nicht zur Deckung des Lebensunterhalts ausgereicht hatte, führte sein Berufswechsel zu einer erheblichen Einkommenssteigerung. Das LG Flensburg hatte bereits in erster Instanz geltend gemacht, die Lebensstellung des Klägers habe sich durch den Berufswechsel nicht verschlechtert, da keine wirtschaftlich erfolgreiche Berufsausübung als Hufbeschlagschmied vorgelegen habe. Unabhängig von einem gegebenenfalls höheren Einkommen dürfe der Versicherte aber nicht „unterwertig“ beschäftigt werden.
5. Berufliche Qualifikation
Nach dem LG Flensburg sei für die Bestimmung des Verweisungsberufs, vorliegend der des Maschinenführers in einer Biogasanlage, lediglich ausschlaggebend, dass die Tätigkeit nicht ihrerseits zusätzliche Kenntnisse erfordere, über die der Versicherungsnehmer nicht verfüge. Die Verfügung über spezielle Kenntnisse und Erfahrungen, die für diese Tätigkeit nicht benötigt würden, sei diesbezüglich unschädlich. Der Kläger hat jedoch beanstandet, dass die Fähigkeiten als Hufschlagschmied für die Tätigkeit als Maschinenführer in keiner Weise benötigt würden und er sich derart spezialisiert habe, dass eine Tätigkeit als Schmied nicht mehr mit seiner ursprünglichen Ausbildung als Landmaschinenmechaniker vergleichbar sei. Nach dem BGH werde die berufliche Qualifikation des Versicherten durch die für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen bestimmt und dürfe durch die neue Tätigkeit, vor allen Dingen hinsichtlich seiner früheren Qualifikation und seines beruflichen oder sozialen Status, nicht wesentlich unterschritten werden.
6. Darlegungslast
Die Revisionserwiderung des OLG Schleswig berief sich darauf, der Kläger sei seiner Darlegungslast noch nicht zur Genüge nachgekommen, allerdings hatte er keinen Anlass davon auszugehen, er habe bislang nicht ausreichend zu den Vergleichsgrundlagen hinsichtlich des mit beiden Berufen verbundenen Anforderungsprofils vorgetragen, da das Berufungsgericht lediglich eine Beschreibung seiner neuen Tätigkeit gefordert hatte. Nach § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO wäre vorliegend ein Hinweis geboten gewesen, den das Berufungsgericht aber nicht erteilt hat.
II. Ergebnis
Der BGH hat das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, da es nicht in eigener Sache über den Fall entscheiden könne, denn das Berufungsgericht habe weder Feststellungen zu den Anforderungsprofilen für die Tätigkeit als Hufbeschlagschmied noch als Maschinenführer getroffen.
Erstellt am 08.10.2019
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Fachanwalt für Medizinrecht und Versicherungsrecht