Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes bei Demonstrationen: Filmen ok – Tonaufnahmen strafbar?

Das Urteil hat es in sich: Eine junge Demonstrantin nahm mit ihrem Smartphone ein Video von einem Gespräch zwischen einer Polizeibeamtin und einer gleichgesinnten Demonstrantin auf und wurde nach gestelltem Strafantrag prompt strafrechtlich verfolgt. Dabei war ihr jedoch wohl kaum bewusst, dass sie sich dadurch strafbar machen würde – nicht jedoch wegen der Frontalaufnahmen der Gesichter der Polizisten, sondern aufgrund des mitgeschnittenen Tons, so das Landgericht München in seinem Berufungsurteil vom 11.Februar 2019 (Az. 25 Ns 116 Js 165870/17).

Der Tatbestand des § 201 StGB

Die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gliedert sich in vier verschiedene Tathandlungen: Während § 201 Abs. 1 StGB die Aufnahme des nichtöffentlichen Wortes und den anschließenden Gebrauch oder das Zugänglichmachen für Dritte unter Strafe stellt, zielt § 201 Abs. 2 StGB auf das Abhören des nicht für die Kenntnisnahme von Dritten bestimmten Wortes und dessen anschließende Veröffentlichung ab. Die Rede ist also von unerlaubten Tonaufnahmen, deren Strafbarkeit das Landgericht München im vorliegenden Fall nochmals verdeutlichte.

Das Demonstrationsrecht ist fest im deutschen Grundgesetz unter Art. 8 GG verankert. Ob es sich nun um Fridays for Future, eine Demonstration für mehr Tierschutz oder schließlich um eine Versammlung von Abtreibungsgegnern handelt, viele nehmen ihr Recht auf Versammlungsfreiheit wahr, um ihre politische Meinung kundzutun. Nicht selten bilden sich zu Demonstrationen auch Gegenbewegungen, so auch im vorliegenden Fall: Die Verurteilte war Teil einer Gegendemonstration gegen Abtreibungsgegner im Juni 2017 in München.

Was passiert ist:

Das Augenmerk der Polizei richtete sich zunächst jedoch nicht auf die Verurteilte, sondern auf eine andere Gegendemonstrantin, die mittels Lautsprecher die laufende Demonstration der Abtreibungsgegner störte. Um diese Störung zu unterbinden, nahm die Polizei die besagte Gegendemonstrantin zur Seite, um ihre Personalien festzustellen. Aus der Sicht der Verurteilten war diese Maßnahme rechtswidrig – was für sie einen hinreichenden Grund darstellte, das Geschehen zu dokumentieren. So zückte sie ihr Smartphone und begann, das Gespräch zwischen Polizei und Gegendemonstrantin zu filmen. Was sie jedoch nicht bedachte: Ein solches Video nimmt selbstverständlich auch den Ton mit auf – und das in meist ziemlich guter Qualität. Das Gespräch wurde somit nicht nur bildlich, sondern auch akustisch aufgezeichnet, was ihr später zum Verhängnis wurde.

Die Verurteilte scheute nicht davor zurück, das Handy 15 bis 20 cm vor das Gesicht des betroffenen Polizeibeamten zu halten und diesen zu filmen. Die Polizisten reagierten sofort und erteilten der Studentin einen Platzverweis. Nichtsdestotrotz gelang es der jungen Frau, das anschließende Gespräch zwischen Polizei und störender Gegendemonstrantin aufzuzeichnen. Das Video hat eine Länge von rund acht Minuten, wovon der maßgebliche Wortwechsel zwischen Gegendemonstrantin und Polizei rund eine Minute einnimmt. Die Folge: ein Strafantrag wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß §§ 201 Abs. 1 Nr. 1, 205 Abs. 1 StGB.

Üblicherweise lässt sich eine Straftat durch diverse Gründe rechtfertigen oder entschuldigen – im vorliegenden Fall ging die Studentin von einer rechtswidrigen Maßnahme der Polizei aus, die sie dokumentieren wollte. Die Identitätsfeststellung der „Störerin“ durch die Polizei erfolgte tatsächlich auf rechtlicher Basis, wie das Landgericht München später auch bestätigte. Die Polizei wies die junge Frau mehrfach daraufhin, das Filmen einzustellen – eine Entschuldigung durch ein Verbotsirrtum nach § 17 StGB kommt daher wohl kaum in Frage.

Das Amtsgericht München urteilt streng:

Das Urteil in erster Instanz fiel für die junge Frau nicht gerade mild aus: Das Amtsgericht München verurteilte die Studentin zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 40,00 Euro. Außerdem wurde das betroffene Smartphone nebst SIM-Karte eingezogen.

Daraufhin legte sie unmittelbar Berufung ein – und das mit Erfolg. Das Landgericht München hob das Urteil des Amtsgerichts München auf. Statt der direkten Geldstrafe wurde die junge Frau lediglich verwarnt, die Geldstrafe bleibt allerdings vorbehalten. Einfach ausgedrückt: Sollte sich die Studentin erneut strafbar machen, müsste sie die volle Geldstrafe zahlen – bis dahin bleibt es quasi eine „Geldstrafe zur Bewährung“.

Was nun?

Der kritische Bürger steht nun vor einem Dilemma – es scheint, als wäre man der Staatsgewalt machtlos ausgesetzt. Welche Mittel bleiben einem noch, um eine vermeintlich rechtswidrige Tat, gerade von Polizisten, zu entlarven oder zu verhindern?

Ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im Juli 2015 hatte vorerst sämtliche Unklarheiten bezüglich Filmen auf Demonstrationen aus dem Weg geräumt und das Filmen von Polizisten dabei grundsätzlich erlaubt (Beschl. v. 24.07.2015, Az. 1 BvR 2501/13) – davon unberührt bleibt weiterhin die Veröffentlichung ohne Einwilligung der Betroffenen. Demnach gäbe das Filmen von Polizisten bei Demonstrationen den Polizeibeamten noch kein Recht dazu, eine Identitätsfeststellung vorzunehmen. Ein solcher Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG rechtfertige sich nur durch eine konkrete Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut. Ob eine solche Gefahr vorläge, sei immer vom konkreten Einzelfall abhängig. Die reine Annahme, dass das Bildmaterial anschließend rechtswidrig verbreitet werden könnte, rechtfertige eine solche polizeiliche Maßnahme nicht – es bedürfe tatsächlicher Anhaltspunkte, die eine Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut begründen, so das Bundesverfassungsgericht.

Die ergangenen Urteile sorgen für Verwirrung, der Grat scheint sich zu schmälern. In welchen Fällen Filmen nun in Ordnung ist, scheint für viele Bürger nicht mehr ersichtlich. Aus Angst vor einem drohenden Strafantrag schrecken diese womöglich zukünftig vermehrt vor solchen Dokumentationen zurück – selbst wenn diese aufgrund von rechtswidrigem Verhalten zulässig sein könnten. Klar ist eines: Verurteilt wurde die Demonstrantin nicht aufgrund der bloßen Bildaufnahmen, erst die Tonaufnahme wurde ihr zum Verhängnis. Durch §§ 201 ff. StGB soll der höchstpersönliche Lebensbereich geschützt werden, auch bei Demonstrationen. Zwar ist es grundsätzlich gemäß §§ 22, 23 KunstUrhG erlaubt, auf einer Versammlung Bilder und Videos zu machen; einer Einwilligung der Dargestellten bedarf es zunächst nicht. Damit wäre auch das Aufzeichnen von an die Allgemeinheit gerichteter Worte der Polizei, wie etwa Durchsagen an die Demonstration, von der Erlaubnis umfasst, nicht jedoch Gespräche, die nicht für andere Personen bestimmt sind, wie es hier der Fall ist – das sogenannte „nichtöffentlich gesprochene Wort.“

Bei Demos sollte man also stets beachten:

Eine zunächst nicht böswillige – oder sogar vorbildliche – Absicht, eine vermeintlich rechtswidrige Tat durch ein Video zu dokumentieren, könnte unter Umständen teuer werden. Bei Tonaufnahmen von persönlichen Gesprächen ist daher absolute Vorsicht geboten. Sollte es sich um ein Gespräch handeln, das offensichtlich nicht für die Öffentlichkeit oder Allgemeinheit bestimmt ist, greift der Schutz des § 201 StGB und der Filmende macht sich unter Umständen strafbar. Anders verhält es sich – wie oben erläutert – selbstverständlich bei an die Versammlung gerichteten Maßnahmen der Polizei.

Nicht zuletzt hat das ergangene Urteil in München zu einer regen Diskussion über die Anwendung des § 201 StGB bei polizeilichen Einsätzen in Demonstrationen beigetragen. Das Filmen von polizeilichen Maßnahmen schien ein Weg für Bürger zu sein, mögliche rechtswidrige Maßnahmen zu dokumentieren oder zu verhindern. Auch dies ist jetzt nur eingeschränkt möglich, ohne sich strafbar zu machen. Viele betonen, dass das Dokumentieren durch Bild und Ton von polizeilichen Maßnahmen mitunter das einzige Kontroll- und Beweismittel des Bürgers gegen die Exekutive sei. Daraus könnte sich die Überlegung ergeben, § 201 StGB um einen Absatz zu erweitern – der die Gültigkeit der Vorschrift auf das Verhältnis unter Privatpersonen beschränkt und hoheitliche Akte dabei außer Acht lässt. Zwar ist das Urteil für die junge Frau in München gefallen – die Debatte hat jedoch gerade erst begonnen.

Ein Beitrag von Stella Willmann.

Erstellt am 25.02.2020

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Stella Willmann

stud. jur.