Vormerkung: Mieterschutz gegen Käuferschutz
Begriff der Vormerkung:
Die Vormerkung stellt ein Sicherungsmittel für einen schuldrechtlichen Anspruch auf Übertragung von Grundstückseigentum dar. Die Vormerkung wird in den §§ 883 ff. BGB normiert und ist folglich Bestandteil der allgemeinen Vorschriften über Rechte an Grundstücken beziehungsweise Teil des Sachenrechts.
Vor dem Hintergrund des Trennungsprinzips wird im deutschen Recht bei einer Eigentumsübertragung zwischen einem dinglichen Verfügungsgeschäft und einem zugrundeliegenden Verpflichtungsgeschäft (Kausalgeschäft) unterschieden. Schuldverhältnisse wie z.B. der Kaufvertrag im Sinne von § 433 BGB stellen ein solches Kausalgeschäft dar, indem sie den Schuldner gegenüber dem Gläubiger verpflichten, eine Leistung wie z.B. die Übertragung des Eigentums zu erbringen. Ein Verpflichtungsgeschäft begründet folglich regelmäßig einen Anspruch für den Gläubiger. Ein Verfügungsgeschäft stellt ein Rechtsgeschäft dar, durch das ein dingliches Recht belastet, aufgehoben, übertragen oder inhaltlich verändert wird. Ein typisches Verfügungsgeschäft stellt die wirksame Übertragung des Eigentums an den Gläubiger dar. Erst durch dieses findet der wirksame Eigentumsübergang und ein Wechsel in der Person des Eigentümers/ Wechsel in der Eigentümerstellung statt.
Wichtig: Beide Rechtsgeschäfte werden nach dem Abstraktionsprinzip unabhängig voneinander betrachtet. Selbst bei einem nichtigen Verpflichtungsgeschäft kann das Verfügungsgeschäft also wirksam bestehen.
Regelmäßig fallen beim Verkauf beweglicher Sachen Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäft zeitlich zusammen. Im Immobiliarrecht fällt der Abschluss des Kaufvertrages über das Grundstück nicht mit der Übertragung des Grundstückseigentums zusammen. In der Zeit zwischen Vertragsabschluss und noch ausstehender Eigentumsübertragung besteht daher ein berechtigtes Interesse seitens des Käufers, die Eigentumsübertragung bzw. den Anspruch darauf zu sichern. Ohne entsprechendes Sicherungsmittel könnte der Verkäufer ansonsten aufgrund seiner noch vorhandenen Eigentümerstellung das Sacheigentum trotz bestehendem Kaufvertrag wirksam an einen beliebigen Dritten übertragen. Der Käufer ist daher schutzwürdig.
Durch die Eintragung einer Vormerkung in das Grundbuch wird es dem Käufer ermöglicht, seinen durch den Abschluss eines Schuldverhältnisses (z.B. ein Kaufvertrag) entstandenen Anspruch auf Leistungserbringung (hier: Übertragung des Eigentums am Grundstück) vor möglichen Beeinträchtigungen zu schützen/sichern. Gemäß § 883 Abs. 2 BGB wird eine Eigentumsübertragung des Verkäufers, der noch Eigentümer aufgrund des noch ausstehenden Verfügungsgeschäfts ist, an einen Dritten (sog. Zwischenverfügung) gegenüber dem Vormerkungsberechtigten, der eine Forderung gegenüber dem Verkäufer innehat und die Vormerkung eingetragen hat, insoweit relativ unwirksam, wie sie den Anspruch beeinträchtigen würde. Eine Eigentumsübertragung an einen Dritten ist folglich gegenüber dem Inhaber des schuldrechtlichen Anspruchs nicht wirksam.
Dem Vormerkungsinhaber steht somit ein wirksames Sicherungsmittel seines schuldrechtlichen Anspruchs auf Eigentumsübertragung vor Zwischenverfügungen durch den Verkäufer zu.
Voraussetzungen der Vormerkung:
1. Bestehen eines wirksamen schulrechtlichen Anspruchs auf Eigentumsübertragung
2. Bewilligung des Betroffenen oder einstweilige Verfügung gemäß § 885 Abs. 1 BGB
3. Eintragung in das Grundbuch nach der GBO
4. Bewilligungsberechtigung
Sonderfall: Vermietung der Sache vor Eigentumswechsel
A schließt mit B einen wirksamen Kaufvertrag gemäß § 433 Abs. 1 iVm §311b Abs. 1 BGB über ein Grundstück mit einem darauf befindlichen Haus im März 2022. A und B vereinbaren, dass das Eigentum an dem Grundstück erst im August 2022 übergehen soll. Zudem bewilligt B, eine Vormerkung zugunsten von A im Grundbuch einzutragen.
Vor der geplanten Eigentumsübergabe im August vermietet B das auf dem Grundstück befindliche Haus an die Familie F. Als A im August nach der Auflassung und wirksamen Eigentumsübertragung durch B von der Vermietung erfährt, ist er außer sich und fordert von F die sofortige Herausgabe seines Eigentums. Er beruft sich dabei als Eigentümer auf seinen Herausgabeanspruch und seine im Grundbuch eingetragene Vormerkung. F sieht keinen Anlass, der Aufforderung seitens A zu folgen, schließlich habe sie mit dem damaligen Eigentümer B einen wirksamen Mietvertrag im Sinne von § 535 BGB geschlossen und folglich ein Recht zum Besitz im Sinne von § 986 Abs. 1 BGB. Zudem liegen – zutreffend – keine Kündigungsgründe für das Mietverhältnis vor.
Kann A von F die Herausgabe der Sache gemäß § 985 BGB verlangen?
§ 985 setzt als Herausgabeanspruch eine Vindikationslage voraus. Demnach müsste A Eigentümer der Sache und F Besitzer ohne Besitzrecht sein. Die Eigentümerstellung hat A von B gemäß §§ 873 Abs. 1, 925 Abs. 1 BGB unproblematisch erlangt. F ist zudem unmittelbarer Besitzer der Sache. Fraglich ist jedoch, ob F ein Recht zum Besitz im Sinne von § 986 Abs. 1 S. 1 BGB zusteht. Ein Recht zum Besitz kann einem Besitzer unter anderem aus sogenannten obligatorischen Besitzrechten zustehen. Diese werden begründet durch gesetzliche oder vertragliche Schuldverhältnisse wie z.B. aus einem Mietvertrag
Das geschlossene Mietverhältnis könnte ein Recht zum Besitz gegenüber A gemäß § 986 Abs. 1 S. 1 BGB begründen. Der Mietvertrag ist allerdings ursprünglich zwischen B und F geschlossen worden und begründet daher zunächst grundsätzlich keine Wirkung gegenüber A. Eine Ausnahmeregelung findet sich in dem von § 566 Abs. 1 BGB normierten Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete“. Gemäß § 566 Abs. 1 BGB tritt der Erwerber anstelle des Vermieters in die sich aus dem Mietverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten ein, wenn der vermietete Wohnraum nach der Überlassung an den Mieter von dem Vermieter an einen Dritten veräußert wird. In unserem Sachverhalt hat B das Grundstück und das darauf befindliche Haus an F vermietet und erst danach das Grundstück an A aufgelassen bzw. übertragen. B tritt folglich gemäß § 566 Abs. 1 BGB in die Rechte und Pflichten des Vermieters ein. Ein Recht zum Besitz kann F dem A daher grundsätzlich entgegenhalten.
Beachtet werden muss hier jedoch noch die Eintragung einer Vormerkung in das Grundbuch zugunsten des A.
Zur Erinnerung: Eine Vormerkung schützt den Vormerkungsberechtigten vor Zwischenverfügungen zwischen Vertragsabschluss und Eigentumsübertagung. Gemäß § 883 Abs. 2 BGB sind solche Verfügungen dem Vormerkungsberechtigten gegenüber relativ unwirksam. Eine Verfügung ist dabei jedes Rechtsgeschäft, durch das ein dingliches Recht aufgehoben, inhaltlich verändert oder belastet wird.
Die Vermietung des Grundstücks an F durch B könnte aufgrund der Vormerkung gegenüber A relativ unwirksam sein. Fraglich ist, ob A Schutz vor einem Eintritt in das Mietverhältnis genießt aufgrund der Sicherungswirkung der Vormerkung. Da ein Mietverhältnis als schuldrechtliches Rechtsgeschäft keine Verfügung (s.o.) darstellt, kommt eine unmittelbare Anwendung des § 883 Abs. 2 BGB nicht in Betracht. Für eine analoge Anwendung des § 883 Abs. 2 BGB müsste eine vergleichbare Interessenslage sowie eine planwidrige Regelungslücke bestehen. Die Interessenslage ist hier vergleichbar mit einer Verfügung, da die Anwendung des § 566 Abs. 1 BGB eine Art „dingliche Wirkung“ gegenüber dem Grundstückserwerber mit sich bringt.
Eine Literaturmeinung bejaht die analoge Anwendung des § 883 Abs. 2 S. 1 BGB auf die Vermietung. Würde man eine analoge Anwendung ablehnen, käme es sonst zu einer Besserstellung des obligatorisch berechtigten Mieters gegenüber dem Erwerber eines vergleichbaren dinglichen Rechts wie z.B. dem Nießbraucher. Diesem gegenüber ist die Vormerkung nämlich wirksam und es tritt folglich relative Unwirksamkeit ein.
Die Rechtsprechung bemängelt hingegen die für die analoge Anwendung erforderliche planwidrige Regelungslücke. Sie bejaht diese nicht und räumt dem sozialen Mieterschutz aus § 566 BGB den Vorrang ein. Eine Einschränkung dieses Vorrangs hätte der Gesetzgeber durch eine ausdrückliche Regelung treffen müssen, wenn dieser Schutz gegenüber einem Vormerkungsberechtigten nicht hätte wirken sollen. Der Mieter ist zudem schutzwürdiger, da er im Gegensatz zu einem Grundstückserwerber regelmäßig keinen Anlass dazu hat, das Grundbuch einzusehen. Eine analoge Anwendung des § 883 Abs. 1 S. 1 BGB kommt aus Sicht der Rechtsprechung daher nicht in Betracht.
Eine analoge Anwendung des § 883 Abs. 2 S. 1 BGB erscheint nach herrschender Meinung vor allem aufgrund des sozialen Mieterschutzes nicht interessensgerecht. Der Erwerber kann vielmehr Schadensersatzansprüche gemäß § 437 Nr.3 iVm §280 BGB gegen den ursprünglichen Eigentümer geltend machen, vom Vertrag zurücktreten gemäß § 437 Nr.2 iVm §§ 440, 323 und 326 Abs. 5 BGB oder die Vermietung gegen sich gelten lassen und von ihr finanziell profitieren. Eine analoge Anwendung des § 883 Abs. 2 S. 1 BGB scheidet mithin aus. Die Vermietung an F ist daher gegenüber A nicht relativ unwirksam.
Der Familie F steht eine Recht zum Besitz im Sinne von § 986 Abs. 1 S. 1 BGB aus dem mit B geschlossenen Mietvertrag zu. A kann nicht die Herausgabe gemäß § 985 BGB verlangen.
Erstellt am 26.08.2022
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Tobias Lütke Entrup